Gleich nach ihrer Fotografenausbildung reiste Hed Wimmer 1955 und 1956 durch Nordafrika. Tunesien gehörte zu den ersten Stationen ihrer Fotoreise. War die Hauptstadt Tunis noch halbwegs leicht aufzusuchen, so sah sich die Fotografin bei ihrer Reise ins Landesinnere einer beschwerlichen Verkehrs- und Infrastruktur ausgesetzt. Die Reise dürfte kein leichtes Unterfangen für eine alleinreisende gut 30-jährige Mitteleuropäerin gewesen sein. Die Tunesienreise war wohl auch von einem gewissen Abenteurertum der Fotografin inspiriert. Denn zum Zeitpunkt ihrer Reise stand das Land in der letzten Phase der Entkolonialisierung von Frankreich. 1881/83 hatte Frankreich Tunesien in sein Kolonialreich eingegliedert. 1942/43 wurde Tunesien zum Schauplatz des Zweiten Weltkrieges, als die Alliierten die deutsch-italienischen Truppen in der Schlacht um Tunesien bezwangen. Die tunesische Unabhängkeitsbewegung hatte sich offen auf die Seite der Alliierten gestellt. Nach 1945 übernahm Frankreich wieder die Kolonialherrschaft, sah sich jedoch einem gestärkten Widerstand des tunesischen Unabhängigkeitskampfes gegenüber, der nach Protesten, Streiks und Guerillaaktionen 1954 zu Verhandlungen mit der Kolonialmacht und 1956 schließlich zur Unabhängigkeit Tunesiens führte.
Die Mitte der 1950er-Jahre entstandenen Fotografien konzentrieren sich auf das damalige volkstümliche und zugleich ärmliche Leben in Tunesien. Auf der nebenstehenden Karte ist die Fotoreise durch Tunesien nachvollziehbar. Sie verlief von Tunis über Kairouan (ca. 50 km westlich von Sousse), ging südlich weiter nach Gabés, Djerba, Medenine, Tataouine und dann zurück zum Nordwesten nach Tozeur, Gafsa und dem westlich davon 20 km entfernten Metlaoui (in der Karte nicht eingezeichnet).
Tunis
Tunis, im Basar, 1955
Tunis im Basar, 1955
Im Basar von Tunis, 1955
Im Basar von Tunis, 1955
Im Basar von Tunis, 1955
Im Basar von Tunis, 1955
In Tunis, 1955
In Tunis, 1955
An der Universität in Tunis, 1955
Schuhputzer in Tunis, 1955
In Tunis, 1955
In Tunis, 1955
In Tunis, 1955
Kairouan
Kairouan war bis zum 11. Jahrhundert ein Ort islamischer Gelehrsamkeit. Heute hat die Stadt 120.000 Einwohner. Die Altstadt gehört seit Ende der 1980er-Jahre zum Weltkulturerbe. In den letzten Jahrzehnten lebte Kairouan vor allem vom Tourismus. Sein Ausbleiben führte zu einer Arbeitslosigkleit von rund 40%.
In Kairouan, 1955
In Kairouan, 1955
In Kairouan, 1955
In Kairouan, 1955
In Kairouan, 1955
In Kairouan, 1955
In Kairouan, 1955
Nomaden am Ziehbrunnen in der Nähe von Kairouan, 1955
Gabés
Gabés liegt 400 km südlich von Tunis an der Mittelmeerküste. Die Stadt mit rund 120.000 Einwohnern ist das Zentrum einer Küstenoase. Neben dem Tourismus lebt sie heute von der Verarbeitung von Früchten der Dattelpalmen, der Fischerei sowie einer chemischen Industrie.
In Gabés, 1955
In Gabés, 1955
In Gabés, 1955
Jüdische Frau in Gabés, 1955
In Gabés, 1955
Jüdische Frau in Gabés, 1955
Gäste einer jüdischen Hochzeit in Gabés, 1955
Musikkapelle einer jüdischen Hochzeit in Gabés, 1955
In Gabés, 1955
In Gabés, 1955
Fischer in Gabés, 1955
Arbeiter an der Fähre in Gabés, 1955
Djerba
Djerba ist eine an der Ostküste Tunesiens im Golf von Gabés liegende Insel. Sie hat heute rund 160.000 Einwohner, zumeist Arab-Berber. Während in den 1950er-Jahren auf der Insel noch bittere Armut herrschte, haben seit einigen Jahrzehnten die langen Sandstrände der Insel den Pauschaltourismus angelockt und wesentlich günstigere Lebensbedingungen auch für die Einheimischen geschaffen.
An der Fähre in Djerba, 1955
Straßenszene in Djerba, 1955
In Djerba, 1955
Moschee in Djerba, 1955
Auf Djerba, 1955
Auf Djerba, 1955
Straßenszene auf Djerba, 1955
Auf Djerba, 1955
Auf Djerba, 1955
Auf Djerba, 1955
Medenine
Medenine ist eine ehemalige Berbersiedlung, die jahrhundertelang von der Landwirtschaft und vom Karawanenhandel lebte. Im 2. Weltkrieg fand 1943 bei Medenine eine Schlacht zwischen Deutschen (Rommel) und Briten (Montgomery) statt. Heute hat Medenine 65.000 Einwohner, die maßgeblich vom Tagestourismus aus Djerba leben. Eine große städtebauliche Attraktion hat Medenine allerdings verloren. Ursprünglich besaß Medenine nämlich eine große Altstadt mit einem Komplex aus 35 Speicherburgen der Berber mit 8000 teils sechsstöckig angeordneten tonnengewölbten Vorratsräumen. Diese wurden jedoch nach der Unabhängigkeit Tunesiens im Jahr 1957 im Zuge der Modernisierung größtenteils abgerissen. Die Fotografien zeigen kleinere Komplexe am Rande von Medenine.
Tonnengewölbebau in Medenine, 1955
Tonnengewölbebau in Medenine, 1955
Tonnengewölbebau in Medenine, 1955
Medenine, Tonnengewölbebau, 1955
Kartenspiel in Medenine, 1955
In Medenine, 1955
In Medenine, 1955
In Medenine, 1955
Medenine, Straßenszene, 1955
Medenine, Morgengebet, 1955
In Medenine, 1955
Kind in Medenine, 1955
Junger Mann in Medenine, 1955
In Medenine, 1955
Tataouine
Tataouine liegt rund 530 km südlich von Tunis. In der Stadt leben im jahr 2020 rund 65.000 Einwohner, rund zwei Drittel davon sind berberischer, der Rest arabischer Abstammung. Die Stadt ist eine Gründung der französischen Kolonialmacht. Sie diente zur Befriedung der Region. Heute ist Tataouine eine Hochburg radikaler Islamisten. 2015 kam es hier zu Kämpfen zwischen der Armee und Anhägern des Islamischen Staates IS.
In Tataouine, 1955
In Tataouine, 1955
In Tatahouine, 1955
In Tatahouine, 1955
In Tatahouine, 1955
Touzeur und Nefta
Touzeur und Nefta sind Oasenstädte und liegen benachbart im mittleren Westen Tunesien. In ihnen lebten in 2020 47.000 bzw. 15.000 Einwohner. Beide Städte zeichnen sich durch eine Lehmziegelarchitektur aus.
Tozeur, Haus mit ägyptischer Lehmziegel-Ornamentik, 1955
Tozeur, Haus mit ägyptischer Lehmziegel-Ornamentik
Auf dem Weg nach Nefta, 1955
In Nefta, 1955
Gafsa
Gafsa liegt im Zentrum Tunesiens und bildet einen Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Norden und Süden des Landes. Die Einwohnerzahl der Stadt wird 2020 auf rund 110.000 geschätzt, Mitte der 1950er Jahre, als Hed Wimmer dort fotografierte, dürften es nicht mehr als 40.000 gewesen sein. Im 2. Jahrhundert v.Chr. gründten die Römer das heutige Gafsa, das wiederum im 7. Jh. n.Chr. von muslimischen Arabern gegen vehementen Widerstand der Berber erobert wurde. Das wirtschaftliche Umfeld von Gafsa ist vom Abbau von Phosphaten geprägt. Nicht zuletzt bildete sich in Gafsa eine Arbeiterbewegung, die in der Vergangenheit mehrfach Impulse für landesweite Streik- und Demokratiebewegungen gab.
Die Mitte der 1950er-Jahre entstandenen Fotografien konzentrieren sich auf das damalige volkstümliche und zugleich ärmliche Leben. Danaben richtet sich der Blick der Fotografin auf die überlieferten Kulturstätten aus der römischen Zeit.
Schuster in Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1955
In Gafsa, 1956
In Gafsa, 1956
In Gafsa, 1956
In Gafsa auf dem Markt, 1956
In Gafsa, 1956
Metlaoui, Sieben von getrockneten Heuschrecken, 1955. Metlaoui liegt 40 km westlich von Gafsa und hat 2020 rund 40.000 Einwohner. Der Großteil lebt von der Arbeit in einer 2008 entdeckten Phosphormine.